Jorge Espiritu hätte allen Grund dazu, sich entmutigen zu lassen. Schwere Schicksalsschläge haben sein Leben auf den Kopf gestellt. Doch er nimmt mutig sein Leben in die Hand – und bereichert dadurch viele weitere.
«Ich kann offensichtlich gar nichts, ich geh nach Hause», sagt Jorge Espiritu frustriert. Er wirft das Strickzeug auf den Tisch, nimmt seinen Blindenstock und geht. Teresa, die Ausbildnerin bei Renacer, der Partnerorganisation von ena in Peru, kann seinen Frust verstehen. Zwar ist die praktische Ausbildung auf Menschen mit einer Behinderung ausgerichtet, aber für ihn ist sie doppelt schwierig.
Ein Schicksalsschlag vor 15 Jahren hat Jorge Espiritus Leben verändert. «Bei der Arbeit auf dem Feld passierte es, ein Ast fiel mir auf den Kopf und verletzte mich schwer», erzählt er ena bei einem Besuch. «Ich musste ins Spital nach Lima, lag sechs Monate im Koma.» Als er aufwachte, erschrak er, denn er konnte nichts mehr sehen. «Man erzählte mir, was passiert war, und schickte mich zurück nach Tingo Maria, meinem Zuhause. Ich war blind, gelähmt und konnte zu Beginn kaum reden.» In seinem Kopf klangen seine Worte normal, doch aus seinem Mund kamen nur merkwürdige Laute. Der Peruaner war am Boden zerstört, wütend, traurig, hoffnungslos. Seine Mutter musste ihn baden und füttern, wie ein Kleinkind. Dann die weitere Enttäuschung: «Meine Frau konnte mit der plötzlichen Behinderung und der damit einhergehenden Armut nicht umgehen, so verliess sie mich mit unseren zwei gemeinsamen Kindern, ohne zu sagen wohin oder eine Kontaktmöglichkeit zu hinterlassen. Ich hatte mein Leben und meine Familie verloren.»
Frauensache – oder doch nicht?
Vor zehn Jahren lernte Jorge dann die Arbeit von Renacer, der Partnerorganisation von ena, kennen. Er erfuhr, dass dort blinde Menschen stricken lernten. Das schien ihm spannend und er entschloss mutig, sein Leben in die Hand zu nehmen. Es störte ihn auch nicht, dass in Peru eigentlich nur Frauen stricken. Er wollte stricken lernen. Obwohl er zwei Jahre den Kurs belegte, gelang es ihm aber nicht fehlerfrei zu stricken. «Teresa hatte sehr viel Geduld mit mir und versuchte immer wieder neue Ansätze. Sie baute neue Strickrahmen für mich, die auch einhändig funktionieren, und testete sie selbst mit einer Hand aus.» Ihr Glaube an ihn motivierte ihn und endlich gelang es. Der erste Lohn seit dem Unfall, für die ersten acht verkauften Schals, machte ihn glücklich. «Es fühlt sich grossartig an, ein Unternehmer zu sein und etwas zum Haushalt beizutragen», sagt er heute.
Wenn Jorge mal wieder die Trauer überkommt, dann hilft es ihm zu singen. «Am liebsten singe ich dann das Lied ‚Cerca de ti‘ (Nahe bei dir). Es gibt mir Hoffnung und Mut und berührt mich tief in meinem Herzen. Manchmal freut es auch andere.» So sagte einmal eine Kursteilnehmerin zu ihm: «Jorge, sing doch ein Lied. Es tut uns gut und motiviert uns, wenn du singst.»