Ein Stück Stoff wird zum Tabubruch

In Uganda verpassen viele Mädchen auch heute noch wichtige Schultage. Der Grund dafür ist so tragisch wie einfach: Es fehlt ein entscheidendes Stück Stoff.

Heute findet der Unterricht draussen statt. Nicht weil der Himmel speziell blau ist oder die Lehrpersonen auf Abwechslung aus sind, sondern aus dem einfachen Grund, dass das Schulgebäude bereits zum Bersten voll ist. Auf dem staubigen Schulhof drängen sich die Schülerinnen und Schüler einer Ugander Mittelschule deshalb um einfache Holztische. Und vor ihnen liegen für einmal nicht Stifte, Hefter und Blätter auf den Tischen. Die Unterrichtsutensilien wurden heute gegen Scheren, bunte Stoffe und Schnittmuster getauscht. Anstatt Algebra gepaukt wird heute nämlich etwas ganz Wertvolles genäht: Stoffbinden.

Binde aus Stoff, hergestellt von Ugandischen Schülerinnen und Schülern
Die Stoffbinden werden nicht nur von den Mädchen genäht. Auch die Jungs legen Hand an.

Mit Fingerspitzengefühl zur Lösung

In Uganda gibt es einen zentralen Grund, warum Mädchen häufiger die Schule verpassen als Jungen: die Menstruation. Fehlen geeignete Menstruationsprodukte, bleibt für viele Mädchen aus Scham, Unwohlsein oder Hygienegründe der Schulbesuch während ihrer Periode aus. Denn Menstruationsprodukte – egal ob aus Stoff oder die Einwegvariante – sind teuer und können sich nach wie vor zu viele Mädchen und Frauen nicht leisten.

«Es ist wichtig, dass wir Männer über das Thema Bescheid wissen – so werden wir zu besseren Ehemännern und Vätern.»

Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation hat ena nun eine kreative Lösung des Problems gefunden – mit positiven Nebeneffekten: Im Unterricht lernen die Schüler und Schülerinnen, wiederverwendbare Stoffbinden selbst zu nähen, diese erhalten die Mädchen und müssen nicht länger zu Hause warten. Und die Nebeneffekte? Die Kinder geben das Gelernte weiter, gewisse können Geld damit verdienen. Die Scham und das Tabu rund um das Thema Menstruation verschwindet allmählich. Eine simple Idee, die Bildung fördert, Einkommen schafft und Tabus bricht.

Vom Tabu zum Feierobjekt

Auf dem Schulhof ist die Freude spürbar. Eine frisch genähte Stoffbinde wird vom Lehrer stolz präsentiert, und die Schülerinnen und Schüler applaudieren. Ein bedeutsamer Moment in einer Kultur, in der Menstruation oft mit Tabus behaftet ist. Jumah Patrick Wangira, Leiter der Partnerorganisation von ena, erklärt: «Es ist wichtig, dass auch wir Männer über dieses Thema Bescheid wissen – so können wir bessere Ehemänner und Väter werden.»

Ein Projekt mit Zukunft

Misika Risbar, eine 15-jährige Schülerin, ist eine der vielen, die von diesem Projekt profitieren. Sie ist dankbar für den Nähunterricht und das Bildungsprojekt von ena: «Früher konnte ich nicht zur Schule gehen, weil meine Eltern sich das nicht leisten konnten.» Dank der Einkommensmöglichkeiten, die ena für ihre Familie geschaffen hat, kann Misika nun täglich zur Schule gehen. Diese Gelegenheit bedeutet ihr sehr viel, und sie nutzt sie voller Eifer: «In unserer Klasse sind wir etwa 200 Schülerinnen und Schüler, es ist oft sehr laut. Ich versuche immer, möglichst weit vorne zu sitzen, damit ich alles verstehe.» Misika hat grosse Pläne: «Mein Traum ist es, Hebamme in der Hauptstadt Kampala zu werden.» Da sie aufgrund ihrer selbstgemachten Stoffbinden nun weniger Schultage verpasst, ist sie ihrem Traum ein bedeutendes Stück (Stoff) näher.

Uganda: Eine Schülerin näht eine Stoffbinde.
Die Schülerinnen profitieren von den Stoffbinden gleich doppelt: Das Thema Menstruation wird enttabuisiert und die praktischen Binden können selbst genutzt werden.